Pater Flurin Maissen

 

In Memoriam Pater Flurin Maissen

Am 3. April 1999 schloss Pater Flurin im Alter von fast 93 Jahren für immer die Augen. Er war einer der größten Kenner und Verfechter der romanischen Sprache.

Die Biografie von Pater Flurin wird, wenn sie einmal geschrieben sein wird, Kapitel zu zahlreichen und unterschiedlichsten Bereichen enthalten wie Literatur, Physik, Theologie, Sprachwissenschaft, Ökologie, Musik, Philosophie, Landwirtschaft, Recht und insbesondere Menschenrechte. Die Romanischkurse und die Fundaziun Retoromana sind nur eine der zahlreichen Früchte seiner vielfältigen Tätigkeit.

Biografische Eckdaten

Pater Flurin wurde am 22. April 1906 in Ilanz geboren. Getauft wurde er auf die Namen Gion Fidel Luis, genannt aber Fideli, oder einfach Deli. Nach dem Gymnasium in Engelberg (1919 – 1927) absolvierte er an der Universität Freiburg (i. Üe) eine Art Schnupperstudium in verschiedenen Fächern wie Philosophie, Pädagogik, Geschichte, Musik, kehrte aber in seine engere Heimat zurück und trat ins Disentiser Kloster ein. 1929 legte er das Gelübde ab und wählte den Namen Flurin. Danach studierte er Philosophie und Theologie in Einsiedeln und im Disentiser Kloster. 1933 empfing er die Priesterweihe und feierte seine Primiz. In der Folge unterrichtete er Französisch und Romanisch am Klostergymnasium. In den Jahren 1934 – 1937 studierte Pater Flurin Naturwissenschaften an der Universität Freiburg (i. Üe), wo er die Ausbildung zum Lehrer für Physik, Mathematik, Geographie und Mineralogie abschloss. 1944 promovierte er mit der Doktorarbeit “Mineralklüfte und Strahler der Surselva”, welche 1988 neu herausgegeben wurde und noch heute ein Standardwerk der Mineralogie ist. Bis 1981, also 45 Jahre lang, lehrte Pater Flurin am Gymnasium des Disentiser Klosters. 1965 wurde er zum Verwalter des Benefiziums in Rumein ernannt. Dort lebte er sein eigenes Leben und machte Rumein zu einem strahlenden Leuchtturm, einer Arbeits-, Begegnungs- und Informationsstätte für Sprachförderer, Berufsmusiker aus Europa, Schweizer Fachleute der Biolandwirtschaft und Forscher auf dem Gebiet der Alternativenergien aus der ganzen Welt. Bis ihn 1998 seine Gesundheit dazu zwang, vom Benefizium Abschied zu nehmen und ins Kloster zurückzukehren, wo die Gemeinschaft sich um ihn kümmern würde. Im Laufe eines Jahres gingen seine Kräfte zu Ende und am 3. April 1999 nahm er in großer Ruhe für immer von uns Abschied.

Eintreten für die Sprache

Pater Flurin kämpfte sein Leben lang darum, den Status des Romanischen zu verbessern, um seine Sprache bekannt zu machen und ihr Anerkennung zu verschaffen. Das Romanische sollte die Stellung erhalten, die ihm von Natur aus zusteht und in jeder Hinsicht, vor allem aber rechtlich, den anderen Landessprachen gleichgestellt werden (auf Grund unter anderem des Artikels 12 der Freiburger Sprachencharta, der besagt: “Aus der Sicht des Naturrechts sind alle Sprachen ethisch und kulturell unbedingt gleichwertig.”).

Pater Flurin trat sehr früh der Romania bei und beteiligte sich rege an den Aktivitäten dieses surselvischen Vereins zur Verteidigung und Förderung des Romanischen. Im Kloster förderte er das romanische Theater und gründete mitten im Krieg die Zeitschrift La Talina (eine talina ist eine außen und sonnenseitig an der Heustallwand errichtete und durch eine Öffnung von der Tenne aus zugängliche Kornhiste) als Organ, in dem sich die jungen Romanen ausdrücken und Erfahrungen sammeln konnten (“auf die Kornhiste zum Reifen stellen”, wie er zu sagen pflegte).

Ab 1965, dem Jahr, als er Benefiziat in Rumein wurde, hatte Pater Flurin mehr Möglichkeiten, zu Gunsten des Romanischen aktiv zu werden. Zwar war die Gründung des Verlags Ediziuns della Revista Retoromontscha (RRR), die er mit seinen Brüdern Alfons und Augustin vollzog, eine unmittelbare Antwort auf den Versuch, ihre Gruppe aus sprachpolitischen Gründen zu marginalisieren. Das eigentliche Ziel war aber, wie die zahlreichen wissenschaftlichen und literarischen Publikationen bezeugen, das Romanische weiter und immer stärker zu fördern. Zusammen mit seinem Bruder Augustin gründete Pater Flurin dann 1969 das Institut de Cuors Retoromontschs (Institut für Romanischkurse ICR) und rief so die allerersten Romanischkurse der Geschichte ins Leben, die sich ohne Unterbrechung bis zum heutigen Tag erhalten und weiterentwickelt haben.

In den siebziger Jahren erhielt er überdies die Möglichkeit, den Fondo cultural P. Placi a Spescha einzurichten, dessen Mittel unter anderem eine rege Drucktätigkeit erlaubten, die auch der Talina zugutekam. Die ergriffenen Initiativen brachten überwältigende Erfolge. Eine in Bern im Juni 1981 zur Lage des Romanischen abgehaltene Pressekonferenz fand nicht nur in der gesamten Schweizer Presse (Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen) ein breites Echo, sondern in ganz Europa und in vielen außereuropäischen Ländern. Dieser Durchbruch war auch ein wesentliches Element, das die Romanen aufweckte und die Politiker sowohl auf Kantons- als auch auf Bundesebene zwang, sich mit der Frage zu beschäftigen. Die gesamte romanische Bewegung profitierte noch jahrelang davon.

Um die entstandene Situation und die sich daraus ergebenden Aufgaben und Verpflichtungen besser meistern zu können, gründete Pater Flurin 1982, zusammen mit Aluis Maissen, Toja Isenring-Maissen, Mariano Tschuor und Jean-Jacques Furer, die Fundaziun Retoromana Placi a Spescha (FRR), in welche er den Fondo cultural und das Institut de Cuors Retoromontschs integrierte. Die Stiftung, bis 1997 unter seinem Vorsitz, organisierte jedes Jahr von neuem und mit stetig wachsendem Erfolg die Surselvisch-romanischen Kurse, darüber hinaus einige Male eine Woche der Romanischen Studien. Sie wird heuer einen weiteren großen Erfolg verbuchen, wenn sie nach Jahren hartnäckiger Anstrengungen das Surselvisch-romanisch ‒ französische Wörterbuch vorstellen kann, das Pater Flurin zusammen mit J.-J. Furer geplant hatte und das er leider nicht mehr in Händen halten wird.

Anlässlich der Eröffnung der 30. Romanischkurse am 10. Juli 1999 wurde die Fundaziun Retoromana Placi a Spescha in Fundaziun Retoromana Pader Flurin Maissen umbenannt.

Das Vermächtnis von Pater Flurin ist immens und betrifft die unterschiedlichsten Bereiche. Die Fundaziun Retoromana, seine Stiftung, wird sein romanisches Vermächtnis wahren und ehren.

 

Jean-Jacques Furer und Francestg Friberg
Mitglieder des Stiftungsrats der FRR

Januar 2002

 

Weitere Informationen zum Leben und Werk von Pater Flurin

finden sich im Calender Romontsch 2000.